Wiesel-Kommission ist der gebräuchliche Name für die Internationale Kommission zur Erforschung des Holocaust in Rumänien.

Der Rückzug Rumäniens aus Bessarabien und der Bukowina im Juni/Juli 1940

Am 23. August 1939 haben Deutschland und die Sowjetunion einen Nichtangriffspakt, den Ribbentrop-Molotow-Pakt, abgeschlossen. Die Sowjets haben auf einem geheimen Zusatzprotokoll bestanden, das die Einflusssphären der beiden Mächte abgrenzte: Mittel- und Südosteuropa, das Gebiet zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer sowie Finnland, Estland und Lettland befanden sich demnach in der sowjetischen Einflusssphäre, während Litauen mit der Stadt Vilnius (Wilna) dem deutschen Machtbereich zufiel. Deutschland und die Sowjetunion haben anschließend Polen untereinander aufgeteilt. In Südosteuropa haben die Sowjets Bessarabien beansprucht, nachdem Deutschland sein "völliges Desinteresse an dieser Region" bekundet hat. Die deutsche Version des Paktes erwähnte rumänische "Regionen", die an die Sowjetunion abzutreten waren, während die sowjetische Version lediglich Bessarabien benannte. Die Sowjets haben sich später, d. h. in 1940, auf die deutsche Version berufen, um zusätzliche Ansprüche auf die Nordbukowina und das Hertza-Gebiet zu erheben. Der Ribbentrop-Molotow-Pakt hatte die geopolitische Lage Rumäniens verschlechtert, was den Königsrat am 6. September 1939 bewog, die Neutralität des Landes auszurufen. Die rumänische Regierung beschloss am 28. Mai 1940, die Annäherungspolitik an Deutschland zu intensivieren, denn Deutschland wurde als einziger Macht zugetraut, die Sowjets unter Kontrolle zu halten. Diese 180-Grad-Wende in der Außenpolitik wurde von einer noch engeren Zusammenarbeit zwischen der Königsdiktatur und der von Deutschland unterstützten Eisernen Garde begleitet.

Am 26. Juni 1940 haben die Sowjets Rumänien aufgefordert, Bessarabien an die Sowjetunion "zurückzugeben" und ihr die Nordbukowina "abzutreten". Auf Zureden von Deutschland und Italien, hat sich die rumänische Regierung am 28. Juni den sowjetischen Forderungen gebeugt, jedoch verlangt, dass die von den Sowjets gesetzte Frist von vier Tagen für die Evakuierung verlängert wird, um einen geordneten Verlauf der Operation zu ermöglichen. Die Sowjets lehnten diese Forderung jedoch ab. Durch die Kapitulation hat Rumänien ein Territorium von 50.762 Quadratkilometern (44.500 km² in Bessarabien und 6.262 km
² in der Nordbukowina) eingebüßt. Die abgetretenen Gebiete hatten 3.776.309 Einwohner, davon waren 53,49 % Rumänen, 10,34 % Russen, 15,3 % Ukrainer und Ruthenen, 7,27 % Juden, 4,91 % Bulgaren, 3,31 % Deutsche und 5,12 % Sonstige.

Die Armeeeinheiten, die Präfekten, die Rekrutierungszentren, Polizei und Gendarmerie und selbst die Pfarrer wurden mit der Evakuierungsaktion betraut. Die Zivilbevölkerung sollte evakuiert werden, nicht jedoch die "nicht kooperativen ethnischen Minderheiten". Die Evakuierung der Reservisten und Paramilitärs bildete die oberste Priorität, gefolgt von der Evakuierung der Zivilbevölkerung. Im Kern, teilten die Evakuierungspläne die millionenstarke Bevölkerung in zwei Gruppen: Privilegierte und Ausgestoßene, wobei man den Letzteren die Rechte gewöhnlicher Bürger entzog.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1940 überquerten sowjetische Truppen die Grenze an fünf Punkten. In den Morgenstunden befanden sich Czernowitz, Hotin, Bălți, Chișinău und Cetatea Albă unter sowjetischer Besetzung. Die sowjetischen Befehlshaber setzten mobile Einheiten in Richtung Pruth in Bewegung, um den rumänischen Evakuierungstruppen den Weg abzuschneiden. Der schneller als vereinbart stattfindende Vorstoß der sowjetischen Armee stellte die aus Bessarabien und der Nordbukowina abziehende rumänische Armee vor ernsthafte Probleme. Obwohl die rumänischen Militärs in ihrer Mehrzahl Sachverstand, Ehrenhaftigkeit und Disziplin bewiesen, kam es in vielen Fällen zur Auflösung ganzer Armeeeinheiten durch groß angelegte Desertionen. Die Auflösungserscheinungen innerhalb einiger Armeeeinheiten gingen so weit, dass Kriegsgerät in großem Umfang einfach hinter den Evakuierungslinien zurückgelassen wurde. Am 3. Juli 1940, 14:00 Uhr, haben die Sowjets die neue rumänisch-sowjetische Grenze für endgültig geschlossen erklärt.

Eine vorherrschende Legende der rumänischen Geschichtsschreibung über den Zeitraum 28. Juni - 3. Juli 1940 besagte, dass es den Juden in Bessarabien und der Nordbukowina an der nötigen Loyalität gegenüber den abziehenden rumänischen Truppen und der Zivilverwaltung gefehlt habe. Dieses - wenn auch falsche - Argument wurde verwendet, um die späteren rumänischen Aktionen gegen die Juden zu rechtfertigen. Zahlreiche Dokumente aus Militär- und Zivilarchiven belegen, dass sich tatsächlich einige Juden aus Bessarabien und der Nordbukowina an antirumänischen/prosowjetischen Aktionen beteiligt haben. Nach Auffassung einiger Historiker stützt deshalb die große Anzahl belastender Dokumente die historische Erkenntnis, dass die Einstellung der Juden in Bessarabien und der Bukowina antirumänisch gewesen sei.

Eine kritische Würdigung dieser Dokumente führt jedoch zu einer völlig anderen Schlussfolgerung. In erster Linie, enthalten viele dieser so genannten belastenden Dokumente pauschale Werturteile und Anklagen zu Lasten ganzer Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel, "die Juden aus der Bukowina", "die Juden aus Chișinău", "die jüdische Bevölkerung aus Bălți" und "die Juden und Kommunisten aus Rumänien". Darüber hinaus waren in den örtlich verfassten Berichten konkrete Ereignisse und Namen entweder selten oder gar nicht vermerkt. Wenn man zudem berücksichtigt, unter welchen dramatischen Bedingungen diese Dokumente verfasst worden sind, dann wird klar, dass sie in unzähligen Fällen auf Gerüchten und Übertreibungen basieren, denn viele Mitglieder aus der im Rückzug befindlichen Armee und Zivilverwaltung witterten hinter jeder Ecke "Kommunisten", "Juden" und "jüdische Kommunisten" bzw. "kommunistische Juden". Diese Entstellungen sollten auch die fehlerhafte Organisation des Rückzugs verschleiern. Wären die Juden tatsächlich in großem Umfang illoyal gegenüber den Rumänen gewesen, dann hätten sie sich nicht, wie häufig geschehen, an der Seite der rumänischen Truppen zurückgezogen. Die Angst vor der sowjetischen Besetzung war unter den Rumänen genauso verbreitet wie unter den Juden, aber viele von ihnen wurden von den rumänischen Behörden daran gehindert, sich den Evakuierungskolonnen anzuschließen. In manchen Gebieten in Bessarabien und der Nordbukowina wurde die Rote Armee von den Ukrainern mit Begeisterung empfangen. Aber die diesbezüglichen Berichte unterscheiden nicht zwischen Juden und Ukrainern; so ist es unmöglich, den Umfang der Teilnahme von Juden an diesen Bekundungen einzuschätzen. Es gab selbst solche Fälle, wo Rumänen die Sowjets mit offenen Armen in Bessarabien und der Nordbukowina empfangen haben.

Ungeachtet dessen, verbreiteten die rumänischen Behörden die Legende von der Kollektivschuld der Juden, was zu einer Serie von antijüdischen Angriffen während des rumänischen Rückzuges aus Bessarabien und der Bukowina führte. Diese Angriffe ereigneten sich sowohl in den abgetretenen Gebieten als auch in de
r Moldau-Region des Altreiches. Diese Aktionen gingen von unten nach oben, es waren eher kleine Gruppen und einzelne Personen, die sich daran beteiligten. Gewöhnlich ging es um das Ausleben antisemitischer Gefühle, die Wut über die erlittene rückzugsbedingte Erniedrigung und die Suche nach einem Sündenbock. Dennoch hatte die Brutalität keine einheitliche Zielrichtung. Es waren Zornausbrüche gegen einige jüdische Bürger, die sich dem Rückzug der Truppen und der rumänischen Zivilverwaltung anschlossen.

Es gibt keine Belege dafür, dass jüdische Offiziere ihre Einheiten während des Rückzuges aus Bessarabien und der Nordbukowina im Stich gelassen hätten, und es haben prozentual nicht mehr jüdische Soldaten den Rückzug zur Desertion genutzt als rumänische. Dennoch gilt als bewiesen, dass Soldaten der rumänischen Armee viele jüdische Rumänen geschlagen und getötet haben; selbst jüdische Kameraden wurden nicht verschont. Mehr noch, bis Mitte Juli 1940, wurden Juden, die per Bahn in die Moldau-Region reisten, von Soldaten und Zivilisten physisch traktiert. Die Gewalttätigkeiten erreichten einen Umfang, der die Regierung dazu bewog, bewaffnete Soldaten zu entsenden, um in Zügen und Bahnhöfen zu patrouillieren und umherstreifende Soldaten zu verhaften. Weiterhin plünderten und zerstörten rumänische Militärs jüdisches Eigentum. Aber die schwerwiegendsten Aktionen der rumänischen Armee waren die Morde von Dorohoi und Galați, beides Orte mit einem bedeutenden jüdischen Bevölkerungsanteil.

Die Angriffe auf die Juden in Dorohoi begannen am 1. Juli 1940 auf dem Friedhof von Dorohoi, wo rumänische Soldaten zehn jüdische Soldaten ermordeten, die an dem Begräbnis eines Kameraden teilnahmen, der ums Leben kam, als er seinen rumänischen Vorgesetzten verteidigte. Die rumänischen Soldaten setzten dann das Gemetzel fort und verwundeten und töteten eine große Zahl von Zivilpersonen (offiziell wurden 53 ermordete Juden genannt) in der ganzen Stadt. Die Untersuchungen der Morde ergaben, dass die rumänischen Soldaten vorsätzlich Märchen über einen angeblichen Angriff der Juden von Dorohoi auf die rumänische Armee in die Welt setzten und Gerüchte über eine sowjetische Offensive streuten, um die Truppen bewusst in Panik zu versetzen. Keiner der Täter wurde jedoch vor ein Militärgericht gestellt. Die rumänische Armee war für eine weit größere Zahl an zivilen Opfern am 30. Juni 1940 in Galați verantwortlich, einem wichtigen Evakuierungszentrum während des Rückzuges aus Bessarabien. Über 10.000 Evakuierte drängten sich in der Stadt, als abziehende Soldaten der rumänischen Armee einfach das Feuer auf eine Gruppe von Zivilisten eröffneten und dabei ca. 300 Menschen, in der Mehrzahl Juden, töteten. Die genaue Zahl der während der Zeit des Rückzuges aus Bessarabien und der Bukowina in der Moldau-Region getöteten Juden variiert zwischen 136 (davon wurden 99 Leichen identifiziert) und einigen Hundert.

Der Verlust Bessarabiens, der Nordbukowina und des Hertza-Gebietes beschleunigte die Annäherung Rumäniens an Deutschland und die Königsdiktatur entschied sich für die Regierungsbeteiligung der Eisernen Garde. Zur gleichen Zeit entstand der absurde, gleichwohl aber volkstümliche Mythos, dass den Juden die Verantwortung für die Kapitulation zufiele. Diese zwei Elemente verstärkten den reaktionären und judenfeindlichen Charakter der Königsdiktatur.

Am 4. Juli 1940 wurde die Regierung Gigurtu berufen, die sofort mit der Durchführung einiger Diskriminierungsmaßnahmen gegen die Juden begann, angefangen mit einer von Carol II. vorgeschlagenen Regierungsverordnung "zum rechtlichen Status der in Rumänien wohnhaften Juden". Dieser Gesetzesentwurf unterteilte die Juden in verschiedene Kategorien und hob Rechte und Pflichten auf, die sie zuvor hatten. So wurde beispielsweise die Wehrpflicht durch eine Verpflichtung ersetzt, zusätzliche Steuern zu entrichten und gemeinnützige Arbeiten zu leisten. Als Deutschland Vorbereitungen traf, Rumänien zu zwingen, Nordtranssilvanien an Ungarn abzutreten, schwächte die Königsdiktatur die nationale Einheit weiterhin, indem sie den jüdischen Bürgern in Rumänien den Krieg erklärte. Der Sturz des Regimes Anfang September 1940, bereitete den Weg für die noch härtere Diktatur unter Antonescu, der Verringerung der ohnehin wenigen Bürgerrechte, die während der Königsdiktatur noch bestanden und den staatlich organisierten Genozid an den Juden. Die Anfänge dieses Völkermordes können auf die Ereignisse zurückgeführt werden, die im Sommer 1940 während des rumänischen Rückzuges aus Bessarabien und der Nordbukowina stattfanden.

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